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#142 Uri, Klausepass - Wanderung zum Gletscherseeli

Guten Morgen,
 
Ahhh….hab ich hier gut geschlafen…aber autsch…mein Nacken tut weh und Schädelweh hab ich. Ich werde alt! Nicht gut!
Würde mich heut gerne etwas besser fühlen, denn wir haben ja noch was vor. Ich bleibe erstmal noch etwas liegen, 9 Uhr ist es, mich hezt nix. Ein Blick nach draußen, trocken, heiter bis wolkig, kühl. Hatte es schlimmer erwartet. Selbst der Wind hält sich in Grenzen!
 
Und neben mir? Alles ruhig! Co-Pilot und Friedrich pennen noch. Und draußen neben mir? Nix. Ich bin hier oben mutterseelenalleine. Schee!
 
Gegen 9:30 Uhr schaffe ich es dann doch endlich, aus dem Bett zu krabbeln. Absitzen in der Dinette. Puh…nicht so fit heute…erstmal n Kaffee und Frühstück. Aufgrund der Tatsache, dass ich meine Ausgleichmasse zu Hause vergessen habe, gibt’s heute traditionelles Frühstück. Zopf, Ei, Schinken, Käse…immer ein echtes Highlight für mich.
 
Auch nach dem Frühstück ist hier oben noch nix los. Vereinzelte fahren Autos an uns vorbei, aber sonst keine Camper hier. Das Wetter präsentiert sich deutlich besser als erwartet. Immer wieder schaut die Sonne raus.
Nach einer Badrunde ziehe ich mich ordentlich an, schnüre meine teuren Wanderstiefel, packe mein Kamera Equipment zusammen, schultere den Rucksack und mache mich auf den Weg.

Heute wird „gewandert“. Naja, die Strecke ist nicht weit, total sollen es 5 km sein. Aber der Weg an sich könnte es in sich haben. Denn wir haben erst Anfang Juni und ich rechne mit Schnee auf der Strecke. Ziel: Ein kleiner Gletschersee hier ums Eck, der 
Griesslisee.
 
So schlurfe ich unfit an den Zwei Kaffees vorbei die es hier auf der Passhöhe gibt und begebe mich dann auf breiten Schotterweg und stehe sogleich vor dem ersten kleinen Schneefeld. Doch hier kann ich mich noch drücken und umlaufe es ganz einfach.
Weiter geht’s, über Wasserrinnsale die den Berg runter fließen, ansteigend, der Weg wird schmaler, steiniger, felsiger. Es geht gut bergauf. Ich komme ins Schwitzen, ziehe meine Jacke aus. Besser!
Der Blick ist der Hammer! Ich schaue auf die Passstraße und gen Urnerboden. Sehe, wo ich mit Dirk von DIHUTV im Januar stand, erkenne sogar, wo er seine DJI Drohne versenkt hat. Was für eine Aussicht. Immer wieder muss ich stehen bleiben, Fotos machen oder Filmaufnahmen machen. Wow geht’s da runter ins Tal.

So zieht sich der Weg und es wird jetzt schon klar: in einer Stunde bin ICH nicht am Gletschersee. Das filmen frisst immer enorm viel Zeit. Aber egal. Ich habe Zeit…wobei…das Wetter soll irgendwann am Nachmittag umschlagen. Ein Wetterumschwung in den Bergen ist immer begleitet von Nebel. Und Nebel will ich auf diesem Weg nicht erleben.

Nach sicher 100 Höhenmetern bin ich endlich auf ebenerem Gelände unterwegs. Ein guter Pfad dem ich folge und das Elend seh ich schon. Ein Schneefeld nach dem anderen. Ich mag Schneefelder nicht, fühle mich darauf nicht wirklich sicher. Gut, der Vorteil, meine Bergstiefel geben mir diesmal sehr gut halt. Das Profil ist top und ich rutsche nicht. Auch ist das erste Feld nicht sehr schräg so dass keine Gefahr besteht, abzurutschen. Auch bin ich nicht der Erste der hier läuft. Ein Trampelpfad ist angelegt. Gut. Ich komme locker drüber. Weiter!
 
Der Blick nach vorne zeigt mir aber schon klar die Grenze….ich schaue auf eine gewaltiger Felswand an der noch ziemlich Winter herrscht. Völlig verschneit steht sie da hinten rum. Genau davor vermute ich den See. Zu sehen ist er jedoch nicht, ein Felshügel ist davor.

So folge ich also weiter meinem Pfad, immer in Richtung dieser gewaltigen Wand. Von dort höre ich es auch immer wieder grummeln und poltern. Treibt der Co-Pilot da sein Unwesen? Hat er mich heimlich überholt??? So grummelt der nämlich auch immer!
 
Auf meinem Weg querer ich noch einige weitere Schneefelder. Alle relativ gefahrlos laufbar. Doch weiss man ja nie, ob darunter nicht doch irgendwie ne Spalte lauert. Bei den Filmaufnahmen hab ich schon immer ein wenig ein mulmiges Gefühl. Was mich beruhigt: wenn ich hier abschmiere, nimmt es wenigstens die Kamera auf.

Weiter auf meinem Weg erschrecke ich dann noch eine Kolonie Murmeltiere. Plötzlich pfeift es laut und durchdringend und ich sehe ein aufgeregt drein schauendes Murmeltier 20 m von mir auf einem Felsen sitzen. Alter, ganz ruhig, ich tue euch nix, ich muss hier nur lang! Kannst Du mir sagen ob es hier zum See geht? Bin ich noch richtig! Es pfeift wieder…ich deute das als Ja und mach mich mal schnell vom Acker.
 
Ja, und so komm ich an ein Schneefeld, dass mir doch tatsächlich Angst einjagt. Breit, sehr schräg und kein wirklich  ausgetretener Pfad. Uff…ich pausiere erstmal und überlege. Kann ich das Feld umlaufen?…Hm…in der Theorie ja…aber auch eine ziemliche Kletterei und einige Höhenmeter erst runter und dann wieder hoch. Also nicht wirklich eine Option.
Kann ich da drüber laufen…hm…nicht wirklich. Bei der Steilheit, ein falscher Tritt und ich rutsch sicherlich 100 m steil den Hang runter. Und da wo das Schneefeld aufhört, liegen keine weichen Matratzen die mich auffangen könnten, nein, da liegt Fels. Könnte wehtun! Mist! Was mach ich jetzt?

Ich treffe die Entscheidung, vernünftig zu sein und das Schneefeld nicht zu queren. Lieber nicht übertreiben… Aber: ich hab die Drohne dabei und die geht in die Luft. Auch wenn ich kein gutes Gefühl dabei habe. Denn an meiner Position kommt immer mal wieder stürmischer Wind auf der eine Drohne im Lande- oder Startprozess gegen die Felsen schmettern könnte. Zudem ist nicht viel Platz zum Starten oder Landen, ich steh auf einem schmalen Pfad der einen Hang entlang läuft. Alles in allem also denkbar schlechte Voraussetzungen. Tja…aber unser eins…startet die Drohne dennoch.
  
Ich passe einen windstillen Moment ab, jage die Drohne in die Luft und erstmal schnell weg von meinem gefährlichen Standort. Fliege raus gen Tal wo viel Freiraum ist. Da hier mit Flugzeugen nicht zu rechnen ist, fliege ich hoch, merke aber, dass in der Höhe ein ordentlicher Wind geht. Das muss berücksichtigt werden für die Rückkehr. Bei Gegenwind dauert ein Rückflug länger und frisst mehr Strom. Eine verhungernde Drohne im Gegenwind ist unangenehm!

Aber ich habe Glück, der Flug läuft gut, ich sehe sogar den kleinen Gletschersee und auch die grummelnden Schneefälle zeigen sich. Es sieht gigantisch aus. Nach 15 Minuten lande ich wieder, packen alles wieder ein und…ja…was jetzt eigentlich. Zurück zu Zottl….hm…?!!

                

Ich packe all meinen Mut zusammen, setzte den Rucksack auf und….begebe mich auf das Schneefeld. Das ist so steil, dass ich quasi auf drei Beinen laufe. Also auf den Beinen und mit der rechten Hand stütze ich mich im Schnee ab. So laufe ich gebückt über diese wahnsinns Schräge.
Ich sag euch, ein gutes Gefühl ist das nicht. Mittendrin hab ich das Gefühl, kurz vor einer Panik zu stehen…bloss nicht links runter schauen, ein Fuss vor den Anderen. Konzentrieren, nicht ausrutschen.
Für einen erfahrenen Alpinisten ist das hier wahrscheinlich Kindergarten, für mich als Flachlandtiroler, ist es das nicht. Bloß keinen falschen Tritt machen, nicht ausrutschen, konzentrieren. Ich versuche, meine Wanderstiefel immer gut in den Schnee zu hauen um Halt zu finden, mache kleine Schritte und steh gefühlt kurz vor einem Herzinfarkt.
Meine Fresse, ist das ne gute Idee was ich hier mache. Links hab ich noch meine Canon Kamera in der Hand…doch das alles hier noch filmisch festhalten, könnt ihr vergessen. Das wäre wohl mein Tod gewesen.
Das Schneefeld ist verdammt breit, gefühlt ein Kilometer, in Realität aber wohl 70-100 m. Nach ¾ des Weges merke ich so langsam…scheiße…ich muss hier ja auch wieder zurück! Fuck! Meinen Blick halte ich die ganze Zeit gesenkt, konzentriere mich nur auf den nächsten Schritt.
 
Und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, taucht endlich Fels vor mir auf 10 m noch…fast geschafft. Bloss jetzt nicht noch abschmieren…und kaum hab ich das zu Ende gedacht…passierts…ich hab wieder Fels unter den 300 EUR teuren Wanderstiefeln denen ich wohl gerade mein Leben verdanke! Danke für das top Profil und den guten Halt und dass ihr Wasserdicht seit!!!
 
Dann mal weiter und noch nicht an den Rückweg denken. Evtl. nehme ich auf dem Rückweg ein etwas tiefer liegende Querung die in der Mitte eine Felsinsel hat. Also total weniger Meter auf Schnee.
Der Weg führt nun mal matschig mal gut zu laufend weiter. Über einige weitere Schneefelder muss ich noch drüber, aber alle unkritisch. Und dann endlich, stehe ich auf dem Hügel von dem ich auf den Gletschersee schauen kann. Gefroren ist er nicht, auch gibt’s leider noch keine Eisschollen. Die erscheinen erst im Sommer wenn es Abbruch vom kleinen Gletscher gibt.
Dennoch sieht es…uh…huch…uff…was’n hier los…wow….Himmel…fühlt sich ja fast wie am Nordkap an. Da bleibt mir ja schier die Luft weg. Ein halber Orkan erfasst mich, wie ich da oben auf dem Hügel stehe und bläst mich schier davon. Talwind vom Gletscher, alter Schwede.
Doch auch der Wind hält mich nicht auf, ich laufe noch ein Stück weiter, näher an den See, mache noch ein paar Filmaufnahmen, drehe mich dann um gen Tal und sehe….da bilden sich Wolken und Nebel. Ist das etwa schon das angekündigte schlechte Wetter!!?? Bitte nicht! Dann bekomme ich hier ein ernsthaftes Problem.
Zudem, jetzt wo ich mich hier so umschaue….ich bin hier total alleine. Vorhin hatte ich eine kleine 3 Personen Wandergruppe getroffen die mir entgegen kam. Doch die sind nicht mehr sichtbar. Auch zwei Mädels waren vor ein paar Minuten noch hier…auch weg.

So entscheide ich, zur Sicherheit auch den Rückweg anzutreten. Also keine Pause hier…ist ohnehin nicht wirklich gemütlich bei dem Sturm. Nix wie zurück.
 
Als ich wieder oben auf dem Hügel stehe und dann über plattgedrückte Wiesen mich auf den Rückweg mache, ist als erstes der Wind wieder weg und zweitens sehe ich auch, wie sich der Nebel wieder auflöst. Wetter in den Bergen…unberechenbar. 4G Empfang hab ich hier übrigens auch. Zwischendurch hatte ich immer mal wieder das Regenradar gecheckt, die Schlechtwetterfront ist noch gut weg von uns.
Daher…hier schöner Blick, Wiese…Pause! Ich hole meinen M&M Ersatz raus und meine Wasserflasche und pausiere. Mit der DJI Osmo Action mach ich noch eine Timelaps der ziehenden Wolken.
 
Nach 30 Minuten Pause fühle ich mit gestärkt für den Abstieg und…die neuerliche Querung des üblen Schneefeldes. Doch diesmal geht es besser. Ich wähle eine tiefere Querung, die ist zwar auch steil aber immerhin schmaler. Der Puls geht wieder hoch, die Hand ist im Schnee, die Schuhe geben wieder gut Halt…und zack bin ich drüber…puh…der Rest der jetzt noch kommt ist Kindergarten…
 
Eine knappe Stunde später stehe ich wieder bei Zottl. Trittstufe raus, Kaffee und Pause. Was ne Tour.

      

Einen schweizer Apfel später bin ich wieder erholt, dann noch ein Eis hinterher und ich bin wie neu. Doch ausgefressen wird heute nix mehr. Es ist späterer Nachmittag, das Wetter schwächelt merklich und es fängt an zu tröpfeln und wird immer grauer. Die Wolken ziehen immer mehr rein, eine schnell aufgebaute Timelaps zeigt wie wir überrolt werden vom schlechten Wetter.
Der restliche Tag und Abend findet also unspektakulär im Inneren von Zottl statt. Ach, immer wieder schön wenn es draußen garstig ist. Heizung auf 21 Grad, Laptop auf den Tisch, Video schneiden, Essen, Hörbuch hören.
Gegen Abend hab ich die Wahl zwischen Kochen und Brot Essen. Ich entscheide mich für Frühstück am Abend. Koche mir nochmals ein Ei, schneide mir Zopf ab und stelle Käse, Butter und Schinken auf den Tisch. Ein wenig hat mir auch die Nachricht von Jens von Vanamericana.ch den Appetitt verschlagen: sie brechen ab und kommen zurück! Das ist so jammerschade, das ich lustlos auf meinem Brot rum kaue.

Gegen Mitternacht begibt sich das Team ins Heck von Zottl. Morgen schon wieder Sonntag…Pläne haben wir nicht…wir rechnen noch immer mit schlechtem Wetter…doch wenn wir wüssten was uns erwartet, würden wir es wohl dennoch nicht glauben…

Gute Nacht und viele Grüsse

Kai


GPS Koordinaten:

Griesslisee: 46.857721, 8.872365

Klausenpass: 46.867907, 8.854536




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Kommentare: 2
  • #1

    Vroni S. (Donnerstag, 02 Juli 2020 19:49)

    Wow, toll geschrieben... fast noch spannender als das Video!
    Ähnliche Situation hatte ich mal am Hochkönig. Ich folgte keinem Trampelpfad, sondern einem "Cowtrail" und geriet an eine steile Geröllwand. Kam mit Anlauf und rennend da drüber, dachte, das überlebst du nicht. Mehr Glück als Verstand gehabt. Kam über ein trockenes Bachbett wieder ins Tal.
    Danke für die schönen Bilder! Grüße aus Augschburg

  • #2

    Silene2Ontour (Samstag, 04 Juli 2020 17:28)

    Hallo Kai,
    Vroni hat recht, ist toll geschrieben und mindestens so gut wie das Video. Ein Wahnsinn, dass Du das auch noch alles schaffst. Du bleibst unser Held!
    Viele Grüße aus Thüringen
    Andreas und Christine